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Augustschreibzeit - Zwei Sommer und Veränderungen

Während ich im vergangenen Jahr mit einer Schulfreundin durch die Straßen Londons gelaufen bin und die Stadt nachts an der Themse und tagsüber in Parks und teuren Geschäften eingeatmet habe, sieht der Sommer in diesem Jahr ganz anders aus. Die Stimmung ist anders als im letzten Jahr – plötzlich ist da nicht mehr dieser Optimismus wie nach dem Abitur, nicht mehr das Gefühl, dass mir die Welt zu Füßen liegt. Stattdessen neun Wochen Klinik, Termine, Therapie. Essstörung. Wenn ich das vor einem Jahr gewusst hätte! Oder an Silvester!

In diesem Jahr haben sich die Dinge anders entwickelt als gedacht. Anders als erhofft.

Ich bin müde von den ganzen Therapiesitzungen, müde davon, zu analysieren, zu besprechen, woher was kommt, warum was passiert ist, welche emotionale Bedürftigkeiten mich angetrieben haben. Ich habe so langsam keine Lust mehr, mich einem doch irgendwo fremden Menschen anzuvertrauen. Oder gleich einer ganzen Gruppe. Es reicht!

Aber…

Ich weiß auch, dass ich in den letzten Wochen schon viel gelernt habe. Ich habe die Klinik lange als etwas so Lästiges und Schlimmes gesehen, aber mittlerweile bin ich trotz des sich langsam einstellenden „Sättigungsgefühls“ dankbar, dass ich diese Phase gerade durchmache. Das klingt zuerst seltsam, konstruiert. So, als würde man sich etwas „schön“ reden wollen, was gar nicht schön zu reden ist.

Aber…

Ich kann so viel mitnehmen in dieser Zeit. Ich lerne Dinge, die manche Menschen vielleicht erst über sich herausfinden, wenn sie schon viel älter sind. Oder gar nicht. Diese Phase ist nicht nur anstrengend und schlecht, sondern wirklich fruchtbar! Ich sammle Erkenntnisse: Über andere, aber vor allem über mich selbst. Ich lerne, wer ich bin, was meine Persönlichkeitsstruktur ist, was meine Schwächen, aber vor allem auch, was meine Stärken sind.

Eigentlich habe ich mich darüber geärgert, dass es zu der Krankheit gekommen ist, ich habe mir vorgeworfen, wie ich nur mit 19 in so etwas hineinschlittern konnte.

Aber…

Eigentlich ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür! Besser könnte er nicht sein – denn jetzt geht doch alles los, das Leben liegt vor mir und ich habe noch so viel in der Hand. Ich glaube, dass gerade solche Phasen wie diese stärker machen, irgendwie reifer, weiser. Ich kann so viel mitnehmen in mein Leben. Optimismus ist angebracht! Und es stehen immer noch viele Türen offen. Nur, dass ich nun so langsam lerne, wie man sie richtig öffnet.

Eigentlich ist doch alles halb so schlimm. Und wenn es das doch mal ist, wächst man daran.

Ich bin vielleicht nicht in diesem Sommer in London.

Aber…

Es gibt noch so viele Sommer in diesem Leben. Und ich schaffe die Voraussetzungen dafür, wiederzukommen. Gesund. Geheilt. Gekräftigt. Und vor allem: Glücklich.


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